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Zuletzt aktualisiert am: 12.11.2009 Redebeiträge beim Ostermarsch 2005 am 26.3.2005Kurt KöprunerLiebe Augsburgerinnen und Augsburger! Ein Gespenst geht um in Europa. Weltweit sogar treibt es sein Unwesen. Jeder bekommt seinen kalten Hauch zu spüren: Arbeitnehmer und Arbeitslose, Pensionsbezieher und Kranke. Jedes Unternehmen tut, was es verlangt; selbst Parteien, Parlamente und Regierungen tanzen nach seiner Pfeife. Dabei hat das Gespenst einen recht simplen Namen. Man nennt es schlicht "Sachzwang". Dieses Wort soll offenbar eine Notwendigkeit benennen, die keineswegs von schlechten Menschen oder bösen Mächten ausgeht, einen Zwang vielmehr, der in der Natur der Sache liegt. Oder glaubt da jemand, dem Gerhard Schröder bereite es Spaß, Monat für Monat neue Horrorzahlen schönzureden? Nein, es ist nichts als Sachzwang, wenn Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Eine Arbeitsstunde im Osten kostet bekanntlich nur ein Zehntel des Preises im Westen, und in der Dritten Welt noch viel weniger daran kann kein besseres Unternehmen vorbeikommen. Es ist Sachzwang, wenn Arbeitszeiten verlängert, Sozialleistungen gekürzt werden. Die Menschen leben heute nun einmal viel länger als früher, und wer soll das bezahlen? Es ist Sachzwang, wenn Beiträge und Gebühren erhöht werden. Gesundheit ist nun mal ein kostbares Gut. Es ist Sachzwang, wenn die Gewinnsteuern gegen Null tendieren, denn sonst wandert das Kapital eben in freundlichere Regionen ab. Und so weiter, und so fort. Wir alle kennen die gespenstischen Schlagworte: Liberalisierung und Deregulierung, Flexibilisierung und Globalisierung. Im politischen Alltag hier zu Lande heißt das dann: Agenda 2010, Harz IV und Rürup V. Oder etwas blumiger: "Schaffung von Minijobs im Niedriglohnsektor", "Freier Dienstleistungsverkehr", "Kampf gegen Faulenzer und Drückeberger", um nur ein paar dieser Euphemismen zu nennen. "Alles", so wird uns eingehämmert, "alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist." "Zu alledem gibt es gar keine Alternative." "Das muss umgesetzt werden ohne Wenn und Aber." "Das ist das Gebot der Stunde das ist nichts als Sachzwang!" Merkwürdig ist nur, dass bei alledem ausnahmslos immer nur eines herauskommt: Umverteilung von unten nach oben. Damit die Starken noch stärker, die Reichen noch reicher werden. Lassen wir uns nicht irre machen! Gespenster das weiß jedes Kind gibt es nur im Märchen. Und auch beim Gespenst namens "Sachzwang" hat sich jemand ein Leintuch über den Kopf gezogen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Fragen wir uns: Wem nützt das ganze Spektakel? Wer übt den Sachzwang aus? Wer ist das Gespenst? Wer verbirgt sich unter dem Leintuch? Die Antwort ist kein Geheimnis: Es ist nichts anderes als das, was heute selbst in konservativen und liberalen Medien mit der größten Selbstverständlichkeit mal als "Raubtierkapitalismus" mal als "Turbokapitalismus" bezeichnet wird. Und der besteht gar nicht so sehr im Konzern X oder im Kapitalisten Y oder im Kanzler Z. Das sind nur Phänomene eines Systems. Eines Systems, unter dessen Räder kommt, wer sich ihm nicht anpasst. Das System besteht in der Herrschaft des Geldes über den Menschen. Das System macht es möglich, dass einige wenige Auserwählte ihre Einkünfte nicht mit Kopf- oder Handarbeit erzielen müssen, sondern indem sie ihr Geld arbeiten lassen. Ja, Geld arbeitet und bringt Ertrag! Und das schon sehr lange. Auf diese Weise haben sich mittlerweile aberwitzige Kapitalberge angesammelt, die nur das Ziel haben, sich pausenlos zu vergrößern. Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag. Das ist das oberste Gesetz, nach dem alles funktioniert. Und es hat zur Folge, dass auf der Welt nicht das geschieht, was gut ist für möglichst viele Menschen, sondern allein das, was die Geldberge am schnellsten weiter anwachsen läßt, sprich: was die größte Rendite bringt. Keine Frage: In diesem System funktioniert vieles wunderbar, und viele von denen, die heute noch jung, gesund und nicht arbeitslos sind, glauben noch immer bedingungslos daran. Doch mehr und mehr wird das System zum Monster. Denn es gibt immer mehr Geld, das arbeiten muss, und deshalb müssen stets neue Bereiche erschlossen werden, in denen Geld gewinnbringend angelegt werden kann. Und was nicht sofortige Rendite verspricht, gilt als Schrott. Kein Lebensbereich kann da ausgenommen werden, und selbst der entfernteste Landstrich wird davon erfasst. Vollbeschäftigung für
das Geld das hat absoluten Vorrang . Und vergessen wir eines nicht: Wir haben es mit einem Raubtier zu tun, einem sehr hungrigen und sehr mächtigen Raubtier. Und übersehen wir nicht, dass mit Globalisierung und Liberalisierung untrennbar eines verbunden ist: Die Militarisierung. Auch die ist ein Sachzwang. Denn das Arbeit suchende Geld braucht freie Bahn. Ellbogenfreiheit und die ist nicht selten nur mit Krieg zu erhalten. Warum das so ist? Auch die Antwort darauf ist kein Geheimnis. Weil das Arbeit suchende Geld bei seiner wundersamen Vermehrung immer wieder einmal auf Widerstand stößt. Auch auf Konkurrenz. Doch Widerstand und Konkurrenz duldet das Monster nicht. Seine Propheten predigen zwar die "Freie Marktwirtschaft", in Wirklichkeit ist das Monster der Feind, der Todfeind, jeder echten Marktwirtschaft. Wettbewerb bei gleichen Chancen, mit Spielregeln, die für alle gelten, das ist Gift für das Raubtier. Konkurrenten werden verdrängt oder einfach aufgekauft. Nicht der Klügere oder Bessere oder Fleißigere darf sich durchsetzen, nein: der Stärkere. Und weil man stark nur durch Waffen wird, wird gerüstet und gerüstet und gerüstet. Kein Mensch kann die Milliarden benennen, die dafür aufgewendet werden. Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag. Aberwitzige Beträge, die weltweit für soziale Gerechtigkeit sorgen könnten. Doch soziale Gerechtigkeit bringt keine Rendite und ist daher nicht angesagt. Sie wissen schon, das verbietet der Sachzwang. Gut, sagen so manche, das ist nicht schön, aber so ist es eben, da kann man nichts machen. Und überhaupt, was gehen uns Kriege an, Kriege in fernen Regionen? Und so ganz unschuldig sind die dort ja wohl auch wieder nicht. Wenn das nur nicht zu kurz gedacht ist! In diesen Tagen, meine sehr geehrten Damen und Herren, jährt sich zum sechsten Mal ein Ereignis, das schon beinahe vollständig der Vergessenheit anheim gefallen ist, das aber mit gutem Grund die Wiedereinführung des Faustrechtes genannt werden kann: Das NATO-Bombardement gegen Jugoslawien. Erinnern wir uns: Ab dem 24. März 1999 bombardierten 19 Nato-Staaten 78 Tage und Nächte lang ein kleines, fast wehrloses Land. Dabei wurden tausende Menschen getötet, hunderttausende vertrieben und die Lebensgrundlagen von Millionen zerstört. Nato-Soldaten sorgen dort seither für Ruhe und Ordnung. Was sie in sechs Jahren erreicht haben, ist ein totales Fiasko. Kein einziges der angeblichen Ziele dieser Bombenaktion wurde erreicht. Und doch werden uns die Bomben bis heute erfolgreich als der erste Krieg der Geschichte verkauft, bei dem es ausschließlich um Menschenrechte gegangen sei. Selbst Vergleiche mit Auschwitz wurden gezogen. Man erklärte, einen multikulturellen Kosovo herbeibomben zu müssen und hat das genaue Gegenteil erreicht: Der Kosovo, das läßt sich nicht bestreiten, ist heute jenes Land der Erde, in dem die Nationalitäten so scharf wie nirgendwo sonst von einander getrennt leben müssen. Allein damit schon könnte man den ganzen Irrsinn der Bomben und die vielen Lügen entlarven. Doch das für uns entscheidende Ergebnis dieses Krieges ist die Tatsache, dass mit der Mißachtung des UNO-Sicherheitsrates so ganz nebenbei das Völkerrecht außer Kraft gesetzt wurde: Wenn es hart auf hart geht, ist es seit dem März 1999 das Papier nicht mehr wert, auf dem es steht. Seither gilt letztlich wieder das Faustrecht. Trotzdem ist die Welt mit sich im Reinen und kein Mensch spricht mehr davon. Wie ist das möglich? "Was ist Wahrheit?", fragte einmal einer, der aus der Branche kommt. Und er fand eine treffliche Antwort. "Drei Wochen Pressearbeit und alle Welt hat die Wahrheit erkannt. Ihre Gründe sind solange unwiderlegbar, als Geld vorhanden ist, sie ununterbrochen zu wiederholen." Es wäre nun verlockend, auf unsere Medien zu schimpfen. Und in der Tat, dafür gäbe es Gründe genug. Doch das ginge am Kern unseres Problems vorbei, denn auch bei den Medien herrscht der Sachzwang. Man braucht nur die Werbeeinschaltungen im Fernsehen oder die Inserate in den gedruckten Medien zu betrachten. Da wird mit sehr viel Geld durchwegs für mehr oder weniger harmlose Dinge geworben. Und zwar von Konzernen, die wirklich nichts Böses im Schilde führen; die nichts anderes wollen, als ihre Produkte zu verkaufen. Für ihre sagenhaften Werbebudgets erwarten sie natürlich, dass die Medien zu einem verkaufsfreundlichen Klima beitragen, was sich ja nun wirklich von selbst versteht. Das Resultat dieser Selbstverständlichkeit aber ist die freiwillige Selbstgleichschaltung der Medien bei allen Problemen, die das Verkaufsklima stören könnten. Krieg und das sonstige Elend auf diesem Planeten dürfen nur als schaurige Show oder als humanitäre Aktion vorkommen. Es ist lehrreich, die Vorgänge in Jugoslawien genau zu studieren. Denn sie zeigen, dass es bei diesem NATO-Verbrechen um vieles gegangen ist, aber um eines ganz sicher nicht: Um die Humanität. Die zusammengebombten Menschen waren so schuldlos am Krieg wie Sie und ich. Ja gut, sagen machen, im Fall Jugoslawien war vielleicht wirklich nicht alles in Ordnung, doch das war ja eine sehr komplexe Geschichte, und außerdem ist das längst vorbei. Lass uns nach vorne schauen. Einverstanden, schauen wir nach vorn. Dabei müssen wir weder Propheten sein, noch allzu phantasiebegabt. Ein Szenario etwa, in dem eine erstarkte EU den Interessen der USA allzu sehr in die Quere kommt, bietet sich geradezu an. Setzt nicht die EU seit Lissabon erklärter Maßen alles daran, die stärkste Wirtscha ftsmacht der Erde zu werden? Es erübrigt sich die Frage, ob die USA sich tatenlos ihren Rang ablaufen lassen werden. Sie sind doch die Stärksten, und das wollen sie ganz bestimmt auch bleiben. Und da könnte leicht der Fall eintreten, dass auch wir in eine sehr komplexe Geschichte verwickelt werden. Doch seien wir vorsichtig. Es ist in Europa opportun geworden, mit den Fingern auf die USA zu zeigen. Mit durchaus sehr guten Gründen. Doch was ist Europas Antwort auf den US-amerikanischen Irrsinn? Ist die Europäische Union tatsächlich die Friedensmacht, die in Sonntagsreden so gerne beschworen wird? Tritt sie wenigstens bedingungslos für die Wiederinkraftsetzung der entscheidenden Bestimmungen des Völkerrechtes ein? Die Europäische Union ist bekanntlich gerade dabei, sich eine neue Verfassung zu geben. Und da ist sehr viel von Friede die Rede, und von Freiheit, Menschenwürde und anderen hehren Prinzipien. Doch wer genauer hinschaut, der könnte das Gruseln erlernen. Als kleine Kostprobe zitiere ich aus einem Papier einer europäischen Denkfabrik, des "Instituts für Sicherheitsstudien", das jedermann im Internet nachlesen kann (1). Die Rede ist da vom notwendigen Umbau unseres Militärs: "Die Transformation europäischer Streitkräfte von der Landesverteidigung in Richtung Intervention und Expeditionskriegszügen ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine effektive europäische Sicherheitsstrategie." "Europäische Expeditionskriegszüge"? Das muss wohl ein Übersetzungsfehler sein. Würde man meinen. Ich habe aber in mehreren Wörterbüchern nachgeschaut und keine sympathischere Bedeutung für "expeditionary warfare" gefunden. So steht es im englischen Originaltext. Und wer die Analysen der europäischen Sicherheitsdenker genauer unter die Lupe nimmt, der weiß, dass das genau so gemeint ist, wie es geschrieben ist. Denn ein weiteres Zitat: "Europa kann seine Verteidigungspolitik nicht auf der Annahme aufbauen, dass es nicht größere militärische Herausforderungen im Mittleren Osten gibt, die von der gleichen oder sogar einer größeren Dimension als der Golfkrieg von 1990/1991 sind." Da werden Szenarien erkennbar, auf die wir uns einzustellen haben. Alles Sachzwang. Da ist es nur logisch, dass auch die EU sich maximal am Rüstungswettlauf beteiligt und sich in ihrer neuen Verfassung das Recht ausbedingt, auch ohne UNO-Mandat Krieg führen zu können. Das Faustrecht läßt grüßen. Aber, wird man einwenden, wir leben doch in einer Demokratie. So lange eine Mehrheit das will. Alle Macht geht doch vom Volk aus. Tut es das wirklich? Ist tatsächlich eine Mehrheit damit einverstanden, dass das Raubtier immer wütender um sich beißt? Dass "mehr als eine Milliarde Menschen chronisch unterernährt dem Hungertod entgegen dämmert"? (2) Dass alle sieben Sekunden irgendwo auf unserem Planeten ein Kind an den Folgen von Hunger verreckt? Dass auch bei uns immer mehr Menschen durch den Rost fallen? Ganz sicher nicht. Offenbar aber gelingt es der Macht des Geldes problemlos, uns all das als unvermeidlichen Sachzwang zu verkaufen. Ich kenne zwar niemanden, der unsere Demokratie nicht als Politshow empfände, doch kaum einer empört sich. Zu gut offenbar wird die Show inszeniert. Und das ist ja auch wirklich spannend: Schafft es der Gerhard trotz allem noch einmal? Und wie wird die so lebenswichtige K-Frage diesmal entschieden? Da kann man sich so richtig als Souverän fühlen, mitentscheiden, was läuft. Und die "Eckpfeiler unserer Demokratie", die Parteien, machen bei diesem lächerlichen Spiel mit. Notgedrungen, denn auch sie unterliegen dem Sachzwang: Sie würden gnadenlos abgestraft, träten sie dem Raubtier wirklich entgegen. Was, meine Damen und Herren, haben nachdenkliche Bürger all dem entgegen zu setzen? Nie wurden weltweit mehr Werte geschaffen, nie war die Welt reicher als heute. Doch der Reichtum kommt immer weniger Menschen zu gute. Wenn die Erträge aus Finanztransaktionen auch nur einigermaßen gerecht besteuert werden würden, ließen sich rasch viele Probleme lösen. Und wenn dann noch die unsagbar hohen Ausgaben für Rüstung für sinnvolle, Menschen dienende Zwecke eingesetzt werden würden, könnten auf unserem Planeten tatsächlich alle gut leben. Was wir dafür brauchen, ist eine "Revolution der Demokratie", um es mit dem Titel eines empfehlenswerten Buches von Professor Johannes Heinrichs zu sagen. Und wir brauchen, wie es in einem Kernsatz dieses Buches heißt, "eine grundsätzliche und globale Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit" (3). Das werden wir nicht von heute auf morgen bekommen und schon gar nicht, wenn wir den Sachzwang weiter als Naturgesetz akzeptieren. Aber wir haben nur die Alternative: Entweder wir sehen tatenlos zu, wie die Welt vor lauter Sachzwängen immer unmenschlicher und schließlich vor die Hunde gehen wird, oder wir setzen uns mit allen gewaltfreien Mitteln zur Wehr. Ich weiß mich mit Ihnen eins, dass wir es unseren Kindern schuldig sind, nicht zu resignieren, sondern nachzudenken und das in unseren Kräften Stehende dagegen zu tun. Und dafür danke ich Ihnen. Ich danke der Augsburger Friedensinitiative und allen die sich konsequent für Frieden und soziale Gerechtigkeit engagieren. Reißen wir dem Gespenst
das Leintuch vom Kopf! Jost Eschenburg (Augsburger Friedensinitiative)Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Manchmal, nicht sehr oft, bin
ich mit meinem christlichen Mitbruder George W. Bush einer Meinung. Ja,
er hat Recht: Es geht tatsächlich um Gut und Böse. In Israel und Palästina sind seit 2000 etwa 5000 Menschen dem Krieg zum Opfer gefallen, darunter mehr als 600 Kinder. Dieser Konflikt spielt sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab, deshalb erfahren wir von solchen monströsen Begebenheiten. Der Irakkrieg hat seit März 2003 nach vorsichtigen Schätzungen die zwanzigfache Zahl an Opfern gefordert, eine Zahl, die nur eine schwache Ahnung von dem Ausmaß des Elends vermittelt. Aber von Pannen wie Abu Ghraib abgesehen erfahren wir nichts davon, denn die "embedded journalists" der amerikanischen Armee veröffentlichen keine Einzelheiten über die Grausamkeit ihrer Arbeitgeber, und andere Journalisten riskieren ihr Leben, wenn sie Ungenehmigtes berichten. George W. Bush und seine Leute halten es für eine gute Sache, was im Irak passiert ist und weiter passiert. Die Tyrannei wurde besiegt, die Demokratie hielt Einzug. Das Gute siegte, Happy End! Unser ehemaliger Mitbürger
Bert Brecht schrieb kurz vor dem Zweiten Weltkrieg: "General, der
Mensch ist sehr brauchbar. Er kann fliegen, und er kann töten. Aber
er hat einen Fehler: Er kann denken." Und doch ist es gerade die
Fähigkeit zum Voraus-Denken, die den Menschen so brauchbar macht
für den Krieg. Es geht wirklich um Gut und Böse. Als Mathematiker habe ich berufsmäßig
mit Logik und Denken zu tun. Oft schon habe ich mich gewundert, dass es
zwei Arten des Denkens zu geben scheint: Im Frieden glauben wir an die
Gerechtigkeit: Niemandem soll Unrecht geschehen, für jeden soll es
Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten geben, und was wir für
unser eigenes Recht halten, das billigen wir im Prinzip auch allen anderen
zu. Im Krieg dagegen geht es nur um ein einziges Ziel: den Sieg der eigenen
Seite. Alle anderen Werte, Gerechtigkeit, Moral, Mitgefühl, die kreatürliche
Tötungshemmung gegenüber Schwachen und Schutzbedürftigen,
sogar der allem Leben innewohnende Selbsterhaltungstrieb müssen dahinter
zurücktreten. Die Untaten der anderen Seite sind abgrundtief böse,
die der eigenen nur die "legitime Antwort" gegenüber Leuten,
die bekanntlich "nur die Sprache der Gewalt" verstehen. Es geht um Gut und Böse. Zum Glück ist das Friedensdenken der Normalfall, sonst wäre ein Zusammenleben von Menschen unmöglich. Es muss also Arbeit geleistet werden, um eine Gesellschaft in den geistigen Kriegszustand zu versetzen. Diese Arbeit heißt Kriegspropaganda, und sie funktioniert immer nach denselben Prinzipien. Es gibt ein hübsches kleines Buch darüber von der belgischen Historikerin Anne Morelli, die ihrerseits die Beobachtungen des englischen Pazifisten Lord Ponsonby aus der Zeit des Ersten Weltkrieg fortschreibt. Die wichtigsten dieser Prinzipien sind:
So dumm diese immer gleichen
Lügen auch escheinen mögen, sie tun ihren Dienst. Wir haben
es im Kosovokrieg erlebt - genau heute vor sechs Jahren begann er - wie
die Propagandamaschine in Gang gesetzt wurde und eine völlig gleichförmige
Berichterstattung und Kommentierung in allen Medien erzeugte. Es geht um Gut und Böse! Doch halt - ist es nicht unsere
Pflicht, gegen Unterdrückung zu kämpfen? Seit dem 11. September 2001 hat das menschenfreundliche Motiv zur Kriegführung allerdings an Bedeutung verloren, stattdessen werden Worte wie "Bedrohung" und "Feind" aus der historischen Requisitenkammer geholt. Wieder läuft die Propagandamaschine. Colin Powells "We know" - wir wissen, dass es im Irak Massenvernichtungswaffen gibt - klingt uns noch in den Ohren; jetzt lesen wir täglich, dass der Iran nach Atomwaffen strebe. Die dortige Regierung kann noch so oft beteuern, dass sie sich weiterhin an den Atomsperrvertrag hält, es nützt ihr nichts. Jeder Journalist darf das Gegenteil behaupten, je öfter, desto wahrer. Es geht um Gut und Böse. Es kommt noch schlimmer: "Wir"
haben einen Feind, der uns vernichten will, und gegen den wir uns wehren
müsssen: Der "Islamismus". In Europa ist ein solches Denken
erst in Ansätzen zu finden, aber wir holen auf. Eine Kostprobe gibt
ein Aufsatz des holländischen Schriftstellers Leon de Winter vom
September 2004: Kriegsdenken macht blind. Sonst hätte Leon de Winter vielleicht eine Welt wahrgenommen, in der westliche Truppen zwei islamische Länder angegriffen und besetzt haben, in vielen weiteren stationiert sind und andere offen bedrohen. Wer strebt da nach der Weltherrschaft? Er hätte vielleicht auch gesehen, dass der westliche Kapitalismus und sein Wachstumswahn für einen großen Teil des Elends und der Umweltzerstörung in der Welt verantwortlich ist, dass unsere Gesellschaft nicht weiß, wie sie überleben kann, wenn die Ölreserven verbraucht sind, die gespeicherte Sonnenenergie einer fernen Vergangenheit (seit dem Irakkrieg hat sich der Rohölpreis verdoppelt), dass diese Gesellschaft schon heute nicht mehr in der Lage ist, Arbeit und Einkommen auf alle ihre Mitgleider zu verteilen, dass sie sich Kinder nicht mehr leisten kann und jedes Jahr tausende von ihnen vor der Geburt umbringt, dass sie die Tiere, unsere Mitgeschöpfe, nur als Teil des industriellen Produktionsprozesses begreift - zum Beispiel werden in unserem Land jedes Jahr 40 Millionen frisch geschlüpfte Küken vergast oder zerhäckselt, weil sie das falsche Geschlecht haben. (Quelle: br-online.de, 5.11.04) Es geht um Gut und Böse. Nein, unsere Gesellschaftsform ist trotz einiger Errungenschaften kein Exportschlager; es gäbe da ein paar Probleme zu lösen, bevor wir andere mit unserem Gesellschaftsmodell beglücken könnten. Liebe Freunde, ich spreche
hier für die Augsburger Friedensinitiative, die seit 25 Jahren besteht.
Ihre Mitglieder, Gruppen und Einzelpersonen, sind sehr unterschiedlich
und in vielen Fragen verschiedener Meinung. Aber sie haben eine Überzeugung
gemeinsam: Das wunderbare Geschenk des Lebens ist viel zu schön und
zu wertvoll, um es dem tödlichen Kriegsdenken zu überlassen;
der Aufstand gegen den Tod ist auch einer der Kerngedanken von Ostern.
Wir alle, die wir hier stehen, wollen gemeinsam für das Leben und
gegen die Saat des Todes kämpfen. Kriege können nur geführt
werden, wenn sie die Herzen und das Denken der Menschen ergriffen haben,
und auch der Friede hat dort Anfang und Ursache. Wir wollen die Kräfte
des Friedens und der Gewaltfreiheit in uns und in unserer Gesellschaft
stärken. Wir wollen uns gegen jede Art von Kriegspropaganda wappnen
und ihr mit Reden, Schreiben und Aktionen entgegentreten. Wir wollen denen
mit Offenheit und Freundlichkeit begegnen, die unter dem Kriegsdenken
am meisten zu leiden haben; das sind zur Zeit die Muslime. Es würde
der Stadt des Religionsfriedens zur Ehre dienen, wenn sie durch eine Moschee
bereichert würde.
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